Während Rezession und Dürre war der Tourismus einer der letzten Sektoren, die der Wirtschaft Namibias noch Impulse verliehen hat. Die Maßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID-19 strecken diesen Sektor mit einem Schlag zu Boden. Wann er sich wieder erheben wird, steht in den Sternen.

Nach dem Kappen der wichtigsten Flugverbindungen nach Europa Mitte März wurden Tausende Touristen im Land auf verbliebene Flüge über Südafrika und Angola umgebucht oder per Rückholaktionen in ihre Heimat zurückgebracht. Für alle Beteiligten, egal ob Tourist, Unterkunft, Autovermieter, Reiseveranstalter oder Fluggesellschaft, bedeutete dies ein hohes Ausmaß an Stress, Zeitaufwand und Kosten.

Zudem wurden gewaltige Untiefen im Reisegeschäft offenbar, die sich nun verheerend auswirken. Hauptmarkt ist nach wie vor Europa. Dort hat der Kunde das Reiserecht der Europäischen Union (EU) im Rücken. Ist er nicht in der Lage, seine Reise anzutreten, aufgrund von Umständen, die er nicht beeinflussen kann, sprich: Reisebeschränkungen, hat er Anspruch auf eine Rückzahlung in voller Höhe.

Ausgaben ohne Einkünfte

Was im normalen Alltag gerechtfertigt erscheint, hat im Ausnahmezustand eines globalen Reisestopps fatale Folgen für die gesamte Branche. Der Reiseveranstalter in Europa muss trotz geleisteter Arbeit den vollen Betrag zurückerstatten. Mit einem Schlag hat er kaum noch Einnahmen, weil angesichts der unsicheren Lage auch praktisch keine neuen Reisen gebucht werden. Betriebskosten wie Miete und Gehälter jedoch laufen weiter.

Ein ähnliches Problem ergibt sich für seinen Partner in Namibia. Der hiesige Reiseveranstalter wird für seine Arbeit, die Buchung und Organisation sowie die Stornierung der Reise, nicht bezahlt. Er hat laufende Ausgaben, aber kaum Aussicht auf neue Einkünfte. Hinzu kommen Stornogebühren der Unterkünfte bei Stornierung von weniger als 30 Tagen vor Ankunft des Kunden. Ganz zu schweigen von den zusätzlichen Kosten durch den Lockdown, der eine Umstellung der Arbeitsabläufe auf das Home Office der Mitarbeiter erfordert. Große Veranstalter mit vielen Mitarbeitern und eigenem Fuhrpark sind schwerer betroffen als kleine Unternehmen, die Selbstfahrer-Touren organisieren und Mietwagen dazubuchen.

Die Unterkunft, als letztes Glied der Kette, hat ebenfalls auf einen Schlag keine Einnahmen mehr, während die Kosten weiterlaufen. Stornierungen sorgen für zusätzliche, unbezahlte Arbeit. Auf eigentlich anfallende Stornogebühren verzichtet die Unterkunft, um dem Reiseveranstalter zu helfen oder sich dessen Gunst für die Zeit nach Corona nicht zu verscherzen.

Kampf ums Überleben

Die Reisebranche sucht im freien Fall nach Halt. Das drängendste Problem ist die fehlende Liquidität. Reiseunternehmen in Europa appellieren in Videoclips an ihre Kunden, umzubuchen statt zu stornieren. Weil nicht sicher ist, wann Reisen wieder möglich ist, werden auch Gutscheine mit bis zu 18 Monaten Gültigkeit angeboten. EU-Länder wie Frankreich und Belgien tolerieren das, obwohl es gegen das EU-Reiserecht verstößt. Andere Länder wie Deutschland bitten die EU, das Gutschein-System abzusegnen.

Doch Umbuchungen und Gutscheine verhindern zwar unmittelbare Rückzahlungen, sorgen aber nicht für neue Einnahmen. Außerdem muss der Reiseveranstalter die Tour für den späteren Zeitraum neu organisieren und buchen; auch für die Unterkunft entsteht ein nicht bezahlter Zeitaufwand. Und sollte der Kunde den Gutschein innerhalb der Gültigkeitsfrist nicht einlösen können, aus welchen Gründen auch immer, so müssen Veranstalter, Autovermieter und Unterkünfte den Betrag schließlich rückerstatten.

Einige Staaten, darunter Deutschland, stellen Milliardenkredite bereit. Doch auch die können die Verluste nicht ausgleichen. Das Entwicklungsland Namibia, von Rezession und Dürre gezeichnet, hat kaum Mittel und muss zunächst an jene Tausende Bürger denken, die sektorenübergreifend aufgrund des mittlerweile landesweiten Lockdowns ihr Einkommen verlieren: Vielen rezessionsgeschwächten Unternehmen versetzt Corona den Todesstoß.

Katastrophale Folgen dürften die Reisebeschränkungen auch für die Tierwelt Namibias haben. Bei staatlichen Parks wie dem Etosha National Park entfallen die Parkgebühren, bei Hegegemeinschaften die Einnahmen aus Jagd- und Unterkunfts-Konzessionen. Private Naturreservate müssen den Schutz ihres Wildes ohne die Einkünfte aus ihren Lodges und Wildbeobachtungsfahrten finanzieren. Der sprunghafte Anstieg der Arbeitslosigkeit dürfte einen Boom der Wilderei nach sich ziehen. Das Win-Win-Win Konzept „Tourismus finanziert Naturschutz und schafft Arbeitsplätze“ fällt in sich zusammen wie ein Kartenhaus.

Schrecken ohne Ende

Und wie geht es weiter? Eine Aufhebung der Reisebeschränkungen kann erst erwartet werden, wenn das COVID-19-Virus unter Kontrolle ist – sowohl im Heimat- als auch im Zielland des Reisenden. Das ist Epidemiologen zufolge erst der Fall, wenn mehr als 75 Prozent der jeweiligen Bevölkerung gegen das Virus immun sind. Bei derzeitiger Handlungslogik und Strategie der Regierungen weltweit, die ja wegen der drohenden Überlastung der Gesundheitssysteme gerade auf Zeit setzt, dauert die Ausbreitung Jahre. Bleibt also nur die Hoffnung auf einen Impfstoff und flächendeckende Impfungen, womit Experten jedoch auch erst in ein bis zwei Jahren rechnen.

Dass die Reisebranche so lange ohne Einkünfte auskommen kann, erscheint mehr als fraglich. Überall beschwört man nun die heimischen Verbraucher, ihren Urlaub im eigenen Land zu verbringen. Doch das hilft Reiseveranstaltern und Autovermietern nicht, von den Fluggesellschaften gar nicht zu reden.

Nur für Unterkünfte ergibt sich hieraus eine Einnahmequelle. In der Regel lässt sich allerdings mit „local tourism“ die Zahl der ausländischen Gäste nicht ersetzen, schon gar nicht in Entwicklungsländern wie Namibia. Hier kommt hinzu, dass Unterkünfte ihren Standard auf europäische Ansprüche ausgerichtet haben, den dafür nötigen Preis aber dem Einheimischen kaum abverlangen können, selbst wenn dieser über ein überdurchschnittliches Einkommen verfügt. Also dürften auch viele Unterkünfte die Durststrecke kaum überleben.

Einen Silberstreif am Horizont mag die wachsende Zahl der Menschen darstellen, die COVID-19 überstehen und fortan immun sind. Ihre Zahl ist aufgrund der Dunkelziffer der Infizierten um ein Vielfaches höher als in den Statistiken angegeben. In Europa schlagen Experten bereits vor, diese Gruppe im Zuge einer Exit-Strategie einzusetzen: Ältere und besonders gefährdete Menschen werden isoliert und von corona-immunen Personen betreut, während alle anderen schrittweise zum normalen Leben zurückkehren und die Wirtschaft wieder anläuft. Nichts spräche dagegen, die Gruppe der Immunen reisen – und aus namibischer Sicht einreisen – zu lassen. Nur ist auch dieser Silberstreif zu dünn, um der Reisebranche wirklich Hoffnung zu geben.

Neustart in Zeitlupe

Für die Zeit nach Aufhebung der Reisebeschränkungen erwarten Branchenexperten zwar einen besonders reisefreudigen Verbraucher. Auch aufgrund der schockierenden Bilder von festsitzenden Urlaubern fernab der Heimat werden jedoch Langstreckenziele wie Namibia wohl erst später davon profitieren.

Kommerzielle Fluggesellschaften wie Lufthansa/Eurowings, Qatar Airways oder KLM, die Namibia angeflogen haben, sind zurzeit dabei, Flotten und Personal drastisch zu reduzieren. Sie werden mit Sicherheit zuerst die profitabelsten Destinationen wieder in ihr Streckennetz aufnehmen. Namibia dürfte kaum dazuzählen. Die namibische Reisebranche kann nur beten, dass die Regierung die staatliche Fluggesellschaft Air Namibia entgegen ihres bisherigen Kurses wieder voll unterstützt – und auch die nötigen Mittel dafür hat.

Alle sind sich einig: Der Tourismus in Namibia wird lange brauchen, um sich von Corona zu erholen. Viele sagen auch, er wird nie mehr derselbe sein. Optimisten gewinnen dem allerdings auch eine positive Seite ab. Das Land der weiten Horizonte erhält eine Atempause, eine Auszeit, die zur Neuorientierung genutzt werden könnte. Eine mögliche Richtung: Mehr Qualität statt Quantität – und dabei Qualität neu definieren.

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Ohne Touristen keine kulturellen Aufführungen und keine Einnahmen mehr. Foto: NTB.